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Rohwedder

 ·  ☕ 3 min read  ·  😎 Stefan
    Bewertung: ⭐ ⭐ ⭐ ⭐ (4 von 5)

Einigkeit und Mord und Freiheit

Mit “Rohwedder - Einigkeit und Mord und Freiheit” hat Netflix nun die erste deutsche selbstproduzierte Doku-Serie im Programm. Es geht um den Mord an Detlev Rohwedder, dem damaligen Treuhandschef, der am 1. April 1991 in seinem Haus in DĂŒsseldorf erschossen wurde.
Da ich einerseits gerne Dokus schaue und mich andererseits schon seit langer Zeit fĂŒr die Geschichte der R.A.F. interessiere, habe ich der Veröffentlich der vierteilige Miniserie entgegengefiebert.

Das R.A.F. Phantom

Inhaltliche Überraschungen gibt es allerdings nicht - was auch nicht zu erwarten war. Es werden verschiedene Ungereihmtheiten und Thesen prĂ€sentiert, die ich eigentlich allesamt schon aus dem 1992 erschienenen Buch “Das R.A.F. Phantom” kenne, welches sich mit der sogenannten dritten Generation der R.A.F. auseinandersetzt. FĂŒr jemanden, der sich bisher nicht in der Tiefe mit dem Attentat befasst hat, ist die dokumentarische Aufbereitung aber sicher trozdem höchst spannend.

Wiedervereinigung

Die StĂ€rke der Serie liegt aber eher in der umfangreichen Herleitung des historischen Kontextes. Denn erst mit diesem Kontext - der deutschen Wiedervereinigung - lĂ€sst sich die ZwangslĂ€ufigkeit verstehen, mit der Rohwedder angefeindet und schließlich ermordert wurde. Dabei sehen wir kein verstaubtes Bildungsfernsehen, sondern viel Originalmaterial und Zeitzeugen. Das Material ist gut geschnitten, teilweise und an den richtigen Stellen mit sphĂ€rischen KlĂ€ngen unterlegt um Stimmungen zu erzeugen. Das funktioniert auch hervorragend, ist aber nie aufdringlich.
Einige nachgestelle Szenen gibt es auch - so werden drei Varianten der Tat in Szene gesetzt.

Heuschrecken?

Mir ist erst jetzt klargeworden, warum Rohwedder so eine umstrittene Person war. Als Chef der “Treuhand” hat er die Privatisierung von Betrieben aus den neuen BundeslĂ€ndern verantwortet. So wurden ostdeutsche Unternehmen, die mit Herzblut und Engagement jahrzehntelang betrieben wurden, verkauft oder zerschlagen und dann verkauft. Das muss fĂŒr die Menschen einer Enteignung und Herabsetzung des eigenen Lebenswerkes gleichgekommen sein. Der Frust ist vertstĂ€ndlich. Die wohl interessanteste Zahl wird erst gegen Ende der Serie genannt: 94% der ostdeutschen Unternehmen wurden an westdeutsche oder internationale Investoren verkauft. In der Doku sieht man wie schnöselige Wessis bei der Treuhand schlangestehen um ein “SchnĂ€ppchen” zu ergattern. Und dann immer wieder Rohwedder, der in Interviewfetzen den großkotzigen Kapitalisten raushĂ€ngen lĂ€sst.
Damals ist wirklich einiges schiefgelaufen. Das darf natĂŒrlich keinen Mord rechtfertigen, erklĂ€rt aber vielleicht Frust und Hass.

Perfect Crime

Der Mord ist bis heute ungeklĂ€rt, es wird von einem perfekten Verbrechen gesprochen. FĂŒr die wohl gĂ€ngigste These, dass ein Kommando der dritten Generation der R.A.F. den Anschlag verĂŒbt hat, spricht das Bekennerschreiben und das am Tatort gefundene Haar, das erst vor ein paar Jahren Wolfgang Grams zugeordnet werden konnte. Es gibt aber auch viele Unstimmigkeiten und die Existenz der “dritten Generation” wird nicht nur in dem eingangs erwĂ€hnten Buch angezweifelt. Grams kann hierzu nicht mehr befragt werden - er starb 1993 bei einem Schusswechsel in Bad Kleinen.

Fazit

Ein spannendes Doku-Drama ĂŒber Gewinner und Verlierer der Wiedervereinigung.

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Stefan
WRITTEN BY
Stefan
Media-Nerd